Fotografie muss nicht abbilden. Maks Dannecker verfremdet in ihren Arbeiten die Realität bzw. eine Gegenständlichkeit, die somit durchaus in Frage gestellt werden darf. Das war ganz und gar nicht die Intention der Fotografie, als sie im 19. Jahrhundert antrat, um der Malerei Paroli zu bieten. Die kam denn auch etwas in Bedrängnis, als eine Technik verfügbar war, mit der die reale Umgebung viel deutlicher und schneller erfasst werden konnte, als es die malende Zunft vermochte. Nur war das gerade ein Anlass für die klassisch bildenden Künstler, oftmals heimlich selbst zu fotografieren, um die Lichtbildnerei als Vorlage zu nehmen. Andere Künstler nahmen Abstand von der scheinbaren Objektivität der Fotografie und loteten die Möglichkeiten aus, in diesem neuen Medium selbst abstrakt arbeiten zu können. Dies hatte – was die Originalität angeht – zunächst auch seine Grenzen. Erst die digitale Fotografie konnte dem Medium im abstrakten Raum Qualitäten entlocken, die zu neuen Gefilden führten, sei es, dass konzeptuelle Überlegungen die Regie mitführten, sei es, dass experimentelle Prozesse neue Aspekte in die Fotografie brachten.
Maks Dannecker nennt eine ihrer aktuellen Werkserien geheimnisvoll »Contemporary Alchemy – Bullish«. Schon Goethe wusste, was die Welt regiert, und grad in seinem »Faust« stellt er nicht nur die (Gretchen-)Frage nach der Religion, sondern vielfach auch die Frage nach dem Geld und nach dem Gold. Zwar scheint das im »Faust« eingewobene Alchemisten-Thema dem Werk einen rückwärtsgewandt esoterischen Touch zu geben, doch genau das Gegenteil ist der Fall, berücksichtigt man die »neue« Alchemie, die dieses Hauptwerk der deutschen Literatur durchgeistert. »Nach Golde drängt, / Am Golde hängt / Doch alles«, lässt Goethe sein Gretchen sagen. Was häufig bei der Lektüre Goethes übersehen wird, ist dessen Kritik am kapitalistischen System, das damals keineswegs als solches schon erkennbar war, ja erst später von Karl Marx ins Visier genommen wurde. Goethe hat nachweislich dieselbe Literatur gelesen, die auch der Sozialrevolutionär als Grundlage seines Denkens konsumierte. Das ist nur ein Reflex, aber die zeitgenössische Alchemie, die Gier nach pekuniären Werten, die leider mehr und mehr die ethischen Werte verdrängen, lässt sich ja tatsächlich an den allgegenwärtigen Börsenkursen ablesen, die zwar nur für einen minimalen Prozentsatz der Bevölkerung wirklich relevant sind, aber in den Tageszeitungen mehr Raum einnehmen als der Kulturteil. »Bullish« ist ein Wort aus dem Börsenslang und meint die Aufwärtshoffnung für den Börsenkurs: Bulle und Bär stehen nicht zum tierischen Vergnügen vor den Börsen herum – sondern als Symbol, in diesem Fall die nach oben geführten Hörner des Bullen für den Kursanstieg.
Die in den 1970er Jahren geborene Maks Dannecker präsentiert in einer kurzen Video-Sequenz eine Geldzählmaschine, auf der verschiedene Euro-Scheine gebündelt werden. Dieser lautstarke, ja fast aggressiv fokussierte Prozedur, die in Fachkreisen leicht als quasi-ritueller Vorgang verklärt werden kann, beschwört in dramatischer Ausschnitthaftigkeit einerseits und in sehr ästhetischen Bildern andrerseits, was spätestens im Zuge der industriellen Revolution zum Motor der Wirtschaft wurde – wenn wir es in einen kulturhistorischen Kontext stellen, geht es um Mehrung des Geldes, von Werten, was im Börsenhandel reichlich fiktiv vonstatten geht, vergleichbar dem Bemühen einstiger Alchemisten, die glaubten, Gold im Keller herstellen zu können. Die Imaginationsfähigkeit der Geldbranche steht jener der Kunst kaum nach.
In diesem Bild- und Geldkontext häufen sich Pool-Bilder, die Maks Dannecker als »quasi unkonventionelle Optionen, Tresore zur Lagerung von Edelmetallen« beschreibt, mit einem Augenzwinkern: Was an dieser Aussage real, was fiktiv ist, verrät sie nicht. Die edlen Metalle sind zuweilen in den Bildecken als Störelemente der Wahrnehmung zu sehen. Extreme Schärfen und gewollte Unschärfen verschleiern dieses Motiv, das meist angeschnitten, menschenleer und daher fast gespenstisch ruhig ist – es kommt vor, dass ein kaum auffallender Fußball im Wasser treibt: Es gibt also Spuren. Für was, bleibt unklar. Maks Dannecker bekennt sich ausdrücklich zu realen, aber unnahbaren Situationen, die Geschichten evozieren, welche sich dann im Kopf des Betrachters abspielen. Maks Dannecker hat als ausgebildete Fotografin professionellen Einblick in die Welt des Goldes – sie fotografiert Münzen, Schmuck, das heißt, sie inszeniert den Wert, nach dem angeblich alles strebt. »Latentgold« heißt eine Arbeit, die eine Sprengung zeigt, deren aufwirbelnder Staub wolkengleich im Raum steht; ein künstlicher Himmel erfüllt das obere Bilddrittel – und wo ist das Gold, das der Titel verspricht? – Schall und Rauch, die Künstlerin schweigt. »Die Häuser der zeitgenössischen Alchemisten« nennt sie, die auktoriale Bestimmerin des Geschehens, eine Reihe von Bildern, die Schwarz-Weiß-Architektur zeigt, geheimnisvoll, undurchschaubar, aber unverkennbar präsent. Faszinierend ist diese Grauzone, die sich in den Fotos der Pool-Serie verlockend himmelblau gibt. Die Szenerien sind real und zugleich verfremdet, die Pools sehen aus wie Modellbauten. Oder sind es gar Modelle, die zur Fiktion einer realen Welt werden? »Kunst machen«, so Dannecker, »bedeutet für mich, eine fiktive Welt zu schaffen«. Da ist es unerheblich, ob sie von einer realen zu einer Kunstwelt findet, oder ob sie aus der Fiktion heraus eine reale Situation erzeugt, die eben auf einem erfundenen Fundament steht. Der Geld- bzw. Börsenmarkt steht ja auch keineswegs auf sicheren Beinen. Die positive Ausstrahlung der Pool-Welt macht deutlich, dass es der Fotografin jedoch nicht um eine politische Haltung geht, sondern um die Ästhetik des fragwürdigen Wertes und deren Schöpfung an sich. Maks Dannecker präsentiert ihr Werk am Rande der Abstraktion und erschafft mit bestechend klaren Motiven konzeptionell eine über-reale Fiktion.
© Dr. Günter Baumann, 2016. Katalogtext zur Ausstellung: Kabinett# 19 – Maks Dannecker und Iris Caren von Württemberg. Böblinger Kunstverein. Böblingen, 2016.