Maks Dannecker
Where Contemporary Alchemists Dwell / Samples
Kunstraum Kleine Galerie, Bad Waldsee 22.01. – 26.02.2017
Eröffnung am Sonntag, 22. Januar 2017, 11.00 Uhr
Es ist schon merkwürdig: Im Zusammenhang mit zeitgenössischer bildender Kunst entbrennen häufig genug hitzige Diskussionen über deren Wert (oder auch vermeintlichen Wert). Warum etwa sollen einige, eben noch allgemein für wertlos gehaltene Fundstücke – von Künstlerhand neu arrangiert, unversehens viel beachtetes Bildobjekt und Skulptur geworden – da ein stattliches Vermögen kosten? Ein Stück Stoff über einen zusammengeleimten Holzrahmen gespannt und mit Farbe traktiert nun ein Meisterwerk der Malerei repräsentieren? Ein kleines Stück Papier gar, nur mit wenigen Strichen bezeichnet, einen mehrstelligen Geldbetrag erzielen?
Dabei führen wir doch selbst alle bekanntermaßen in der Regel solch kleine Behältnisse aus Leder oder Stoff mit uns, in ebenjenen wir eine gewisse Anzahl vergleichbar kleiner Papierstücke zu verstauen pflegen. Diese sind zwar nicht einmal Unikate, sondern – sofern keine Fälschungen jedenfalls – auf Schnelldruckpressen angefertigte Massenprodukte, von sogenannten Zentralbanken in Umlauf gebracht, durch ständigen Gebrauch reichlich abgegriffen und damit sie in unsere Portemonnaies hineinpassen mehrfach gefaltet und zerknickt. Dieselben ermöglichen uns erstaunlicherweise aber – je nach aufgedruckter Ziffer oder Anzahl dieser weggegebenen Scheine (Geldscheine, wie sie landläufig genannt werden) – den Austausch gegen allerhand Sachgüter, mit denen sich so viel mehr anfangen lässt als mit den vorbesessenen, irgend bunt bedruckten Papierstückchen: Scheine, um mithin auch den Schein eines anderen Seins zu wahren.
Schlimmer noch: Selbst diese Papiere sind uns noch abhanden gekommen, als jeder von uns inzwischen winzige Plastikkarten besitzt, die gewissermaßen – simsim und Simsalabim – als gänzlich unromantische, neuzeitlich normierte Sesam-Öffne-Dichs! fungieren. Einmal vorgezeigt oder in dubiose Schlitzmaschinen hineinsteckt haben wir uns längst angewöhnt, auf diese immateriell zauberische Weise jedwede unserer Begehrlichkeiten und Ansprüche an die Warenwelt schnell befriedigen zu lassen, vorausgesetzt, an einem insgeheimen, dem allgemeinen Blick entzogenen Ort – in hochgesicherten Tresoren – sei ein entsprechender Gegenwert hinterlegt.
Haben weiland die Alchimisten des Mittelalters im Auftrag der stetig finanziell klammen Kaiser und der Könige also noch händeringend nach Verfahren gesucht, aus unedlen Metallen Gold und Silber zu gewinnen, betreffen die gegenwärtigen Künste der Transmutation von Materie – ob dieses nun der Stein der Weisen oder nicht – augenscheinlich umgekehrt die Verwandlung von Gold und Geld in eigentlich wertlosen Kunststoff oder Plastik (mit eingebautem Chip), die die klingende Münze abgelöst haben.
Maks Dannecker aber weiß, wo und wie die Alchemiker heute hausen, und teilt ihre Bildgeheimnisse gerne dem Publikum mit. Die Arbeiten aus der Reihe der Häuser der zeitgenössischen Alchemisten zeigen dabei allerhand postmoderne Architekturen als mystische Zwischenwelten in undefinierbaren Naturräumen. Mal panoramatisch, mal nahsichtig ausschnitthaft angelegt ragen im zwielichten Wechselspiel von Schärfen und Unschärfen Fragmente weißer Baukörper aus wolkig schwarzen Vegetationen als Embleme von Landschaft. Tiefblau fluide Flächen im unteren Teil der Darstellung assoziieren beim Betrachter unwillkürlich die Uferlagen von Gewässern. Andernorts erinnert uns das hellere Lichtblau der sogenannten Pool-Bilder an die zeittypische Verkachelung privater Schwimmbecken und öffentlicher Badeanstalten. Wenn allerdings bei den monumental in Szene gesetzten Gebäudeblöcken unklar bleibt, ob diese sich erst noch im Bau befinden oder aber bereits schon wieder entwohnt sind, um abgerissen zu werden, lässt Maks Dannecker bei den herangezoomten Beckenausschnitten ebenso offen, ob wir es etwa mit maßstäblich miniaturischen Modellen oder vielmehr doch mit real vorgefundener Alltagswelt zu tun haben.
Vor dem Hintergrund, dass die Künstlerin als Fotografin immer wieder mit Shootings von Edelmetallen, Münzen und Schmuck betraut ist, erweitert sich das Wahrnehmungsfeld der von ihr gezeigten menschenleeren Areale zusätzlich. Der Pool als Sammelbecken in vielerlei Beziehung, der Tresor als sicherer Ort und Schutzbehältnis birgt in ihrer freien Arbeit eben nicht (nur) materielle Werte, sondern erscheint offenkundig weiter gefasst zu sein. Wie jede – wenigstens qualitätvoll gute – künstlerische Arbeit ein Reservoire, also eine Anlagerung voller innovativer Ideenschätze und geheimnisvoller Sinnverstecke bedeutet, so behauptet Maks Dannecker in ihren Arbeiten bewusst die Vereinbarkeit der Ambivalenz sowohl konkret gesehener Wirklichkeit als auch der Fiktion derselben als geheimnisreich verwunschene Orte.
Tatsächlich betreffen uns ja in der Realität beständig emotionale Ambivalenzen: Einerseits lehnen wir beispielsweise die die Privatsphäre bedrohenden Maßnahmen eines Überwachungsstaates selbstredend ab, andererseits wähnen wir uns auf öffentlichen Plätzen durch den Einsatz eben von Überwachungskameras vor Verbrechen weitgehend geschützt. Während Mauer oder Zaun die Einen hinlänglich in Sicherheit wiegen (à la My Home is my Castle), grenzen sie doch die Anderen, die auf der anderen Seite ausgesperrt bleiben, von unseren eigenen Privilegien aus. Ohne allerdings Wertungen vorzunehmen überträgt Maks Dannecker optisch-visuell Gefundenes (aus der Realität) und Erfundenes (der fiktiven Orte und Landschaften) in ihren Bildarbeiten. Der Valenz als feststehender Wertigkeit stellt sie ihre Ambivalenzen als Umwertungen der Wirklichkeit gegenüber und sorgt so für die Anreicherung der bei Jedem und Jeder je individuell verschieden ausgeprägten Einbildungskraft, die im kantischen Sinne als Fähigkeit gilt, Vorstellungen auch ohne Gegenwart des Objektes zu entwickeln.
Ganz gegenwärtig wirken dagegen die fotografischen Objekte einer kleinerformatigen Bildfolge jüngst entstandener Dannecker’scher Geldkunst unter dem Titel Notenstempel (2016). Die Künstlerin fokussiert dabei im Rahmen einer sinnlich-ästhetischen Alltagsarchäologie vorderhand geheimnisvolle Bezeichnungen, die vorzugsweise auf 500-Euro-Scheinen aufgebracht und deren Funktion letztlich unbekannt sind. Dem Faszinosum allerlei Verschwörungstheorien, die diese Scheine dem Sammler als rätselhafte Rarität interessant machen, stehen völlig banale Erklärungsversuche entgegen, die den Grund der kryptischen Chiffren eher im schlichten Abzählen von Geldscheinbündeln, in einer Art Echtheitskontrolle oder persönlichen Besitzvermerken sehen.
Da mag man mit Maurice Maeterlinck auf ein gänzlich anderes Bestreben der Alchemie verweisen. Diese zielte nämlich seit jeher in weiten Bereichen nicht auf die Herstellung von Gold ab, sondern befasste sich mit der Suche nach einem Allheilmittel gegen jede Form von Krankheit und der Sterblichkeit des Menschen insgesamt. In seinem Le Trésor des humbles (Der Tresor der Armen, 1896) nämlich verwehrt sich schon der französische Literat des 19. Jahrhunderts gegen den durch und durch rationalistischen Erklärungswahn, der seither so viele Kunstwerke auf dem Gewissen hat mit folgenden Worten. “Sobald wir etwas aussprechen, entwerten wir es seltsam. Wir glauben in die Tiefe der Abgründe hinabgetaucht zu sein, und wenn wir wieder an die Oberfläche kommen, gleicht der Wassertropfen an unseren bleichen Fingerspitzen nicht mehr dem Meere, dem er entstammt. Wir wähnen eine Schatzgrube wunderbarer Schätze entdeckt zu haben, und wenn wir wieder ans Tageslicht kommen, haben wir nur falsche Steine und Glasscherben mitgebracht; und trotzdem schimmert der Schatz im Finstern unverändert.”
Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker
Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg